Von der Theorie zur Praxis… ist es kein kleiner Schritt

Es sind jetzt ungefähr 35 Jahre, dass ich Ernährungswissenschaft studiere. Wenn ich an die verfügbare Literatur denke, kann ich übersehen, wie unnütz 99,9% der Dinge sind, die zu diesem Thema geschrieben werden. Damit wir uns richtig verstehen: Es ist nicht so, als sei alles schlecht oder oberflächlich geschrieben, es sind auch sehr gute Sachen in Umlauf. Das Problem liegt in der Tatsache, dass wir durch dieses ganze Reden über Ernährung und durch das Wiederholen der Konzepte der Sechzigerjahre, die die Ideen der Vierzigerjahre aufnehmen, die wiederum – ganz offensichtlich – auf der großen Forschung der Zwanziger- und Dreißigerjahre beruhen, letztendlich das Gefühl für die Bedeutung dieser Ideen verloren haben. Ihr wisst schon, wie ein Wort, indem wir es immer wieder laut vor uns hinsagen, am Ende gar nichts mehr bedeutet. Also lesen wir und lesen wir… verstehen aber nicht genau, was wir tun sollen. Doch das ist, leider, mitnichten das einzige Problem. Ein weiteres kritisches Thema verkörpern in der Tat die hyperspezialisierten Studien, die im mikroskopischen Bereich Untersuchungen anstellen und dabei die Person aus dem Blick verlieren: uns. Zum Beispiel diese Studie über den Gesundheitseffekt der Chilischote, in der gezeigt wurde, das dieses Gemüse eine stark antibakterielle Wirkung hat. Wisst ihr, was sie gemacht haben? Sie haben verdünnten Chilisaft auf eine Bakterienkultur gegeben. Mit der Feststellung, dass die Bakterien vernichtet waren, haben sie daraus die „logischen“ Konsequenzen gezogen. Hätten sie es mit Benzin, Whisky oder Natron probiert, hätten sie mit Sicherheit den selben Effekt erzielt. Oder jene Studien, die die Güte eines Nahrungsmittels über die Summe seiner Nährstoffe ermitteln und dabei die Struktur und das Potential zur Interaktion mit anderen Speisen und dem Körper völlig außer Acht lassen. Und weiter: Bücher, Studien, Handbücher (die auch in den Universitäten verwendet werden) voller ganz und gar überholter und inkorrekter Konzepte, bei denen sich keiner die Mühe macht, sie zu prüfen und zu berichtigen, weil man in der Wissenschaft bestimmte Dinge eben einfach nicht tut. Wie die Vorstellung, das Kalzium in Milch und Milchprodukten würde die Knochen stärken und Knochenbrüchen und Osteoporose vorbeugen. Es sind jetzt mindestens dreißig Jahre, seit wir bemerkt haben, dass es nicht ganz so ist, doch gegen dieses Konzept Stellung beziehen, das alt und gut ist wie eine liebreiche Großmutter, das kann man nicht… Um nicht von den Produktionsfirmen zu reden und von den Millionen von Litern an Milch und Tonnen von Käse, die täglich auf der ganzen Welt produziert werden. Darauf werden wir noch zu sprechen kommen. Ein weiterer kritischer Punkt der wissenschaftlichen Kommunikation betrifft all jene Herumforschereien, die mit mehr oder weniger hinreißenden Pseudoentdeckungen verbunden sind, und dem Gebrauch, der davon in den Massenmedien gemacht wird. Es wird zum Beispiel eine Frucht entdeckt, die dreißigmal mehr Vitamin C hat als eine Zitrone. Sofort reißen die Gesundheitszeitschriften die Neuigkeit an sich und verbreiten die Meinung, dass es angebracht sei, jeden Tag davon zu essen. Grober logischer und unwissenschaftlicher Fehler, der wieder einmal der Struktur dieser Kost nicht Rechnung trägt, nicht den anderen Substanzen, die sie enthält und nicht den generellen und spezifischen Wirkungen, die das verzehrte Nahrungsmittel hat. Es gibt mindestens zehn Arten von Menschen, die besser daran täten, für den größten Teil des Jahres auf Abstand zu dieser Frucht zu bleiben. Letzter Punkt, auf den ich näher eingehen will: Der Großteil der wissenschaftlichen Forschungsprojekte, die Produkte oder Substanzen betreffen, die für die Massenvermarktung bestimmt sind, werden von den Produzenten oder den Distributenten in Auftrag gegeben. In anderen Worten, die für eine technisch-wissenschaftliche Stellungnahme zu Rate gezogene Universtität oder Einrichtung nimmt Geld von dem Unternehmen an. Wenn ihr den berüchtigten Satz hört oder lest „wissenschaftliche Tests beweisen“, tut so, als ob nichts wäre. Das Problem nimmt an Gewichtigkeit zu, wenn diese Studien dazu verwendet werden, Anträge zur Genehmigung von Produkten bei Regierungsbehörden zu stellen, die manchmal ein wenig zu sehr vertrauen. Als Zusatz zu dem, was schon ein riesiges Problem ist, möchte ich gerne unterstreichen, dass es eine Sache ist, zu sagen „wissenschaftliche tests beweisen, dass Phytosterole die Cholesterinwerte im Blut zu senken können”, etwas anderes, zu verstehen, unter welchen Bedingungen die Tests gemacht wurden (erinnert euch an die Untersuchung zur Chilischote oben), und noch etwas anderes, davon abzuleiten „also ist es gut, jeden Tag Joghurt zu essen“. Lasst euch nicht übers Ohr hauen von den einfachen, glücklichen, optimistischen Schlaraffenland-Vereinfachungen. Indem wir Formel-1-Benzin in unseren alten Ford tanken, werden wir nicht schneller fahren: wir werden überhaupt nicht fahren! Erinnert euch an die Klugheit unserer Freunde. Ich könnte noch einige Seiten lang so weitermachen, aber ich höre hier auf. Das, von dem ich gerne hätte, dass es angekommen ist, ist die Vorstellung, dass die Interpretationsgrundlage, das Metawissen, das man bei der Interpretation der Phänomene anwendet, mindestens so wichtig ist, wie das Phönomen, das wir beobachten, weil die Folgerungen, die wir ziehen werden, durch und durch relativ zu dem Ansatz sind, den wir benutzen und dazu, wie wir das Phänomen betrachten. Der normale Mensch, der Zeitschriften liest, Radio hört und fern sieht und dabei versucht, sich in dieser verworrenen Masse an Informationen zurechtzufinden, weiß weder aus noch ein. Einst von der Vorstellung ausgegangen, er schaffe sich eine Kultur, um bewusster wählen zu können – für sein Leben und für seine Lieben – endet er damit, eine der drei möglichen Überlebenstecniken anzuwenden: Er wählt die Informationen basierend auf Kriterien einer inneren Sinnhaftigkeit (praktisch basierend auf dem, was ihm am besten gefällt); oder er versucht, allen Konzepten, Richtlinien, Ansätzen zu folgen, indem er, (auch hier) basierend auf improvisierten Elementen vom einen zum anderen übergeht; oder er gibt verdrossen auf, überzeugt, dass die Gesundheit ein zu schwieriges Konzept sei, als dass man sie verfolgen könne und dann wird es schließlich sowieso gehen wie es gehen soll. Und erinnern wir uns, dass die Summe aller Dinge, die gut für uns sind, nicht gut für uns ist, sie ist äußerst schlecht für uns. Wir werden versuchen, von einem anderen Ansatz auszugehen: bleibt eingestimmt.

ins Deutsche übersetzt von Elisabeth Becker
Bild mit freundlicher Genehmigung von marchefoodfestival.it.
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