Körpergerecht vorgehen

Sprechen wir also über das körpergerechte Vorgehen, einen der Angelpunkte der Aufwärmstrategie, die wir – erinnern wir uns – so schematisiert haben: 1. Abfolge zentripetaler Bewegungen 2. zuerst die einfachere, dann die komplexere 3. zuerst die leichtere, dann die schwerere 4. zuerst die langsamere, dann die schnellere 5. zuerst die am wenigsten anstrengende, dann die am meisten anstrengende 6. zuerst die generellste, dann die spezifischste. Wir wollen sie uns ein wenig genauer anschauen. 1. Abfolge zentripetaler Bewegungen Schaut euch das Bild oben an: Es zeigt den berühmten Vitruvianischen Menschen Leonardos da Vinci. Stellt euch vor, es gäbe dort nicht nur einen Kreis, sondern viele, konzentrisch, wie auf einer Zielscheibe. Gut: Die zentripetale Abfolge berücksichtigt, dass die einzelnen Teile des Körpers in der Reihe angesprochen werden, wie sie innerhalb der Kreise aufeinander folgen, vom äußeren zum inneren, indem man von Mal zu Mal diejenigen Körperregionen bearbeitet, die sich (ungefähr) auf jedem Kreis befinden. Wir haben also: 1. Hände und Füße; 2. Fußgelenke und Handgelenke; 3. Unterarme und Unterschenkel; 4. Kopf, Arme und Oberschenkel; 5. Brust und Schultergürtel, Becken, Bauch und Leisten. Diese Abfolge stellt sicher, dass jede Körperregion bearbeitet wird, wenn sie schon einen Stimulus durch die Tätigkeit des von ihr aus weiter außen gelegenen Bereichs erhalten hat und erzeugt neurologische Reflexe, die, wie sie von und zu den distalen (rumpffernen) Regionen wandern, über die proximalen (rumpfwärts gelegenen) hinweggehen und sie ansprechen, wodurch der Aktivierungseffekt verstärkt wird. 2. Zuerst die einfachere, dann die komplexere Bewegung Ein echtes Gelenk (also keine Synathrose wie die Sutur des Schädels, die beinahe unbeweglich sind) ist fähig, Bewegungen in eine oder mehrere Richtungen auszuführen. Der Ellbogen zum Beispiel erlaubt die Beugung des Unterarms zum Oberarm hin und umgekehrt; das Knie verhält sich in ähnlicher Weise. Anders dagegen sieht es mit Hand- und Fußgelenk aus, Gelenken, die eine anterior-posteriore (nach vorn und nach hinten) Beugung erlauben, eine seitliche Beugung, eine Drehung und ein Kreisen. Der Hals schließlich ist noch komplexer und erlaubt über die oben genannten Bewegungen hinaus die anterior-posteriore Verschiebung sowie die laterale (auf die Seite). Wie wir uns denken können, erfordern die verschiedenen möglichen Bewegungen einfachere oder komplexere Muskel- und Gelenktätigkeit. Nehmen wir den Kopf als Beispiel und beziehen uns dabei auf das untenstehende Bild. Die einfachste Bewegung ist die Vorwärtsbeugung (a1); nach steigender Komplexität des Gelenkspiels und der erforderten Muskeltätigkeit folgen die Rückwärtsbeugung (a2), die Seitwärtsbeugung (a3), die Drehung (c), die Kreisbewegung (d), die Rückwärtsverschiebung (b2), die Vorwärtsverschiebung (b1), die Seitwärtsverschiebung (la traslazione laterale (nicht abgebildet, aber aus (b) erschließbar: Sie ist eine der Bewegungen, die zum Beispiel die traditionellen Tänzerinnen aus dem indischen Raum machen.) Es leuchtet von selbst ein, dass man, wenn man die Bewegung schrittweise aufbauen will, zuerst wirklich die einfacheren Bewegungen ausführt, um dann zu den komplexeren und anstrengenderen zu kommen, wenn die Region schon aktiver ist. 3. Erst die leichtere, dann die schwerere Ein Muskel kann mit größerer oder geringerer Kraft kontrahieren. Innerhalb einer Abfolge von Bewegungen, die darauf abzielen, einen Muskel für eine Tätigkeit vorzubereiten, die auch anstrengend sein kann, lässt man die Kraft schrittweise anwachsen. Um einige Beispiele anzugeben: Bei Gymnastik mit Gewichten erhält man diesen Effekt, indem man die Last auf den Geräten fortlaufend erhöht; bei reiner Körpergymnastik erhält man ihn dadurch, dass man von den Liegestützen gegen die Wand über die auf den Knien auf die traditionellen übergeht. 4. Zuerst die schnellere, dann die langsamere Schnelligkeit bedeutet mehr schnelle Kraft, schnellere Umkehr der Bewegung, höhere Spannkraft; auch hierin wird einer instinktiven physiologischen Gradualität. Der Fußballer, der Schwimmer, der Sprinter… legen einige Strecken zuerst langsam zurück, dann immer und immer schneller. 5. Erst die weniger anstrengende, dann die anstrengendere Bei einer körpergerechten Abfolge gehen die einfachen Bewegungen den komplexeren voraus. Der Tennisspieler wird sich auf dem Feld zuerst mit Vorhand- und Rückhandschlägen aufwärmen, dann mit Flugbällen, und wird die Aufschläge für zuletzt übrig lassen, wenn er fühlt, dass Rücken, Schultern und Arme bereit sind. Oder, um ein anderes Beispiel zu geben, bei einer weit ausgreifenden, gelenkbeanspruchenden Bewegung, werden die Winkel sachte vergrößert und die Muskeln behutsam gedehnt. Ein Turner geht erst in den Spagat, nachdem er vorbereitende Bewegungen ausgeführt hat, um Hüfte und Beine geschmeidig zu machen. 6. Erst die generellere, dann die spezifischere Der Hürdenläufer zum Beispiel, wird zuerst kurze Sprints machen, wobei er die Geschwindigkeit steigert, um dann – wenn er sich von Beinen und auch Schultern und Rücken bereit fühlt – zum Überwinden der Hürden zu kommen. Das, was ich euch heute vorgestellt habe, ist eine äußerst wirksame Art und Weise, um unserern Körper zur größtmöglichen Leistungsfähigkeit zu bringen. Wenn es mit dem Prinzip der Abfolge einer generellen und einer spezifischen Aufwärmphase verbunden wird (und natürlich mit Wille und Hinhören), erlaubt uns dieses Vorgehen, die am weitesten fortgeschrittene physiologische Technologie zum Ausdruck zu bringen, die bis heute erdacht wurde. Demnächst werden wir uns praktische Aufwärmmodelle anschauen, auch in Anwendung auf verschiedene Sportarten und motorische Aktivitäten. Viel Spaß beim Trainieren :)

ins Deutsche übersetzt von Elisabeth Becker
Bilder: 
1. Leonardo da Vinci - Uomo vitruviano – mit freundlicher Genehmigung von agostinocalandro.it
2. mit freundlicher Genehmigung von podisticacarsulae.it
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