Warum uns die Formel 1 gefällt

Wenn man von Performance spricht, ist die Formel 1 ein klärendes Beispiel. Und nicht, weil dort Gas gegeben wird!

Der Fakt, dass die Qualität dessen, was man macht, generell von einer Reihe von Parametern abhängt, erscheint uns offensichtlich. Aber die Formel 1 macht, vielleicht mehr als jede andere professionelle Tätigkeit der Welt, auch für den, der sie von außen betrachtet, erkenntlich, dass die bestmögliche Performance durch ein spielerisches Ausbalancieren der Parameter erreicht wird und nicht einfach nur dadurch, dass man sie maximiert. Das heißt also, bei der Formel 1 verstehen wir alle, dass die Maximierung eines Parameters sich zum Nachteil eines anderen auswirken kann, und dass das Optimum – schon sprachgeschichtlich erkennbar – in der Optimierung liegt (und nicht unbedingt im Mittel, wie gewisse frigide Heuchler uns seit jeher weismachen wollen).

Zum Beispiel… (diese Beispiele können sich als mehr oder weniger aktuell erweisen, denn das hängt von den Vorschriften ab, die Bernie Ecclestone sich in jedem Jahr neu ausdenkt, doch ich finde, dass sie für unsere Zwecke ziemlich wirkungsvoll sind!) Was würdet ihr sagen, wenn wir zum Beispiel mit mehr Benzin starten würden, dann machen wir nicht so viele Boxenstopps, oder verkürzen sie jedenfalls? Es scheint grundsätzlich eine gute Idee zu sein. Sehen wir mal nach, wie es die restliche Leistung beeinflusst.

Das Auto würde mehr wiegen, die Bremsen mehr abnutzen, die Reifen auch… und mehr Benzin verbrauchen. Darüber hinaus könnte es stärker untersteuern… wie viel stärker? Mit welcher Geschwindigkeit kann man auf diesem Parcours in die Kurven gehen?

Aufgrund des erhöhten Gewichts, der größeren Trägheit, des größeren Drehimpulses in der Kurve wird die Abnutzung der Reifen sehr viel höher sein, wenn wir weiche Reifen benutzen. Und wenn es eine Runde ist, die die Reifen einer harten Bewährungsprobe unterstellt, könnte es Probleme geben, besonders, wenn es sehr heiß ist. Außerdem würde das Fahrzeug langsamer beschleunigen und wenn der Parcours Überholungen begünstigt, könnte das ein Problem darstellen, denn wir würden leicht überholt werden, während es für uns schwieriger sein würde, das ebenfalls zu tun. Übrigens, welche Gegner lassen sich heute vernünftigerweise überholen? Mit welchen Reifen sind sie gestartet, und mit wie viel Benzin? Welche Startposition haben wir – absolut gesehen und in Hinblick auf die unmittelbaren Gegner – in der Startaufstellung?

Aber… mit dieser Strategie würden wir immerhin Zeit sparen, richtig? Okay. Wie viele Sekunden? Und wie viele würden wir verlieren? Wie viel Zeit sparen wir beim Tanken und wieviel verlieren wir beim Reifenwechsel? Wie hoch ist der Netto-Verlust in Sekunden für eine Durchfahrt durch die Boxengasse? Was lässt sich über die Position des Autos im Moment des erneuten Boxenstopps voraussehen, in Hinblick auf seine unmittelbaren Gegner? Wird es mehr Raum für Manöver geben oder weniger?

Wie viele miteinander verknüpfte Fragen… und das nurmehr für die Wahl eines einzigen Parameters: Die Menge des Startbenzins! Die Ingenieure eines Formel-1-Teams arbeiten gleichzeitig an dutzenden von Parametern und hunderten von Szenarien und müssen bereit sein, sie in Echtzeit zu ändern, wenn auf der Rennbahn etwas Unerwartetes geschieht (Ausscheiden eines unmittelbaren Gegners, Einsatz des Safety-Cars, Veränderungen der atmosphärischen Bedingungen, mechanische Probleme… ).

Sie wissen sehr gut, dass es zwar vielleicht möglich ist, den stärksten Motor zu verwenden, ihn auf das festeste Fahrgestell zu montieren, den bestgewappneten Piloten hineinzusetzen und so gut wie möglich aufs Gas zu treten, um das beste Tempo zu erreichen, und so in einem Rennen (welches?) zu siegen, aber das all dies mit Sicherheit noch nicht ausreicht, um eine Meisterschaft zu gewinnen! Und sie wissen auch, dass das Auto, der Pilot, der Ingenieur, der Mechaniker… für sich allein überhaupt nichts erreichen! Um die Meisterschaft zu gewinnen ist es notwendig, nicht das Beste von allem zu haben, sondern ein komplexes System, das funktioniert; und dass man auch wissen muss, wie man hier schlussfolgern muss.

Um zum Thema zurückzukommen: Ich finde die Formel 1 aufschlussreich, weil sie uns lehrt, dass es keinen Sinn hat, eine Strategie einfach nur deshalb anzuwenden, weil sie uns gefällt, ohne eine Ahnung davon zu haben, wie sie das gesamte System beeinflusst. Wenn man zum Beispiel Nudeln und Brot vom Speiseplan nimmt, dann senkt das (anfänglich) den Kohlenhydratstand und führt dazu, dass man mehr Fett verbrennt. Wenn wir abnehmen wollen, scheint das zuallererst eine gute Idee zu sein. Aber welche anderen Wechselwirkungen ergeben sich? Sind Nudeln denn nur eine Art Brennstoff und sind wir nur eine spezielle Art Auto? Oder ist es nicht eher so, dass diese Moleküle in unserem Körper hunderte verschiedene und miteinander zusammenhängende Wirkungen entfalten? Und wie verändern sich diese Funktionen, wenn wir die Rohstoffe verringern, die sie am Laufen halten?

Außerdem: Was setzen wir an die Stelle der Kohlenhydrate, die wir weggelassen haben? Essen wir tatsächlich weniger oder ersetzen wir sie mit etwas anderem? Und dieser Ersatz, welche Auswirkungen hat er auf und welche Wechselwirkungen mit dem Gesamtsystem (uns)?

Natürlich ist es undenkbar, dass jeder von uns ein Fachmann für Physiologie wird, ein personal trainer, ein Ernährungsberater, ein Biochemiker, ein Arzt… alles zusammen. Also werden wir Opfer des Marktes.

Tatsächlich müssen wir uns normalerweise an jemanden wenden, der es auf sich genommen hat, diese Einsichten für uns zusammenzufassen und der uns die Endresultate einer Analyse präsentiert, die dann wiederum von diesen Einsichten ausgehend diejenigen Regeln und praktischen Verhaltensanweisungen vorgibt, die anzuwenden von Fall zu Fall sachdienlich sein sollen. Und hier liegt der Haken. Denn je nachdem, wie viel und welche Art von Wissen den Ausgangspunkt markiert, je nachdem, welche Mittel zur Interpretation dieses Wissens angewendet werden, je nachdem, welche Ziele sich derjenige setzt, der diese Kenntnisse verbreitet, und worin seine Interessen bestehen, je nachdem – schlussendlich – wer es ist, der es auf sich nimmt, uns diese destillierte und gebrauchsfertige Weisheit zu vermitteln, und wie er es tut… ändert sich das, was bei uns ankommt, ganz drastisch.

Ist es vertrauenswürdig, wenn mir der, der Joghurt verkauft, sagt, dass Joghurt für meine Gesundheit wichtig sei? Und ist es vertrauenswürdig, wenn mir das eine Universität sagt, die eine Studie durchgeführt hat, die von dem finanziert wurde, der Joghurt verkauft? Wie viele von den Ärzten und Diätologen, die Joghurt empfehlen, waren schon im Innerern des menschlichen Körpers, um nachzusehen, wie die Dinge wirklich laufen? Und wie viele sind stattdessen darauf beschränkt, eine Zusammenfassung der Studie zu lesen, den diese Universität freundlicherweise auf Kosten des Joghurtproduzenten verbreitet hat?

Wem sollten wir glauben? Wem können wir glauben?

ins Deutsche übersetzt von Elisabeth Becker
Bild mit freundlicher Genehmigung von www.corsi-di-pilotaggio-formula-1.com

 

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